OB Uli Burchardt: Wohnbau ist eine soziale Frage / J.-P. Rau
Darf Konstanz wachsen? Wie viel und für wen? Der Gemeinderat entscheidet am Donnerstag eine Frage, die die kommenden Jahrzehnte prägen wird. Eine lebhafte Debatte zeichnet sich ab. Der Rathauschef allerdings weiß ziemlich genau, was er will.
Es geht um Geld und Heimat, um Perspektiven und Entwicklung – und für Oberbürgermeister Uli Burchardt auch um die soziale Zukunft der Stadt. Wenige Tage vor der ersten wichtigen Abstimmung im Gemeinderat wirbt er um Zustimmung zum Handlungsprogramm Wohnen, das die Stadtverwaltung innerhalb weniger Monate auf die Beine gestellt hat. Es hat zwei zentrale Ziele: Die Schaffung von neuem Wohnraum und die Sicherung einer gesunden sozialen Mischung in den einzelnen Stadtteilen. Doch ganz so einmütig wie jüngst im Technischen und Umweltausschuss dürfte es am Donnerstag (ab 17 Uhr, Ratsaal) nicht zugehen. Denn längst ist eine Debatte darum entstanden, ob Konstanz überhaupt noch wachsen soll, für wen zusätzlicher Raum geschaffen wird, wo das geschehen soll und mit wie viel Druck die Stadt die Nutzung baureifer Grundstücke durchsetzen darf.
Burchardt selbst hat auf diese Fragen klare Antworten, wie er dem SÜDKURIER auf Anfrage am Dienstag sagte. „Es geht um die soziale Frage“, erklärte er. Konstanz müsse weiter wachsen, damit die Bevölkerungsstruktur der Stadt intakt bleibe und nicht die ganz jungen und die betagten Zuzügler die Mittelalten und vor allem die Familien weiter verdrängten – Konstanz hat vor allem im Bereich der 30- bis 50-Jährigen ein Abwanderungsproblem; fast jeder kennt wohl eine Familie, die nach Kreuzlingen oder Radolfzell gezogen ist. Und wenn Konstanz bis 2030 die anvisierten über 5000 zusätzlichen Wohnungen bereitstellen wolle, reiche es nicht, nur innerstädtische Baulücken zu schließen. Damit vollzieht Burchardt eine Abkehr vom Prinzip der ausschließlichen Nachverdichtung. Es habe zur aktuellen Schieflage mit massiven Preissteigerungen bei Neuvermietungen beigetragen und auch dazu, dass Konstanz in Sachen Wohnen zu den zehn teuersten Städten in Deutschland gehöre: „Das ist nicht sozial.“
Mieterbund hält härtere Gangart für überfällig
Eine rege Debatte zeichnet sich auch darum ab, wie viel Druck die Stadt auf Grundstückseigentümer ausüben darf, die auf ihren Flächen bauen könnten, dies aber aus unterschiedlichen Gründen nicht tun. Burchardt stellt sich dabei gegen seine eigene Partei: Die CDU hatte solche Eingriffe – die im Extremfall bis zu Enteignungen gehen können – ebenso abgelehnt wie die Freien Wähler, die ebenfalls zur politischen Heimat des Rathauschefs gehören. Der Mieterbund Bodensee – Vorsitzender ist SPD-Stadtrat Herbert Weber – hält eine härtere Gangart für überfällig: „Alle reden von bezahlbaren Wohnungen. Doch wenn es ernst wird, kneifen sie.“
Eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme – wie sie in dem zur Ratsentscheidung vorliegenden Handlungsprogramm als eine der Optionen benannt ist – könne man nicht mit Enteignungen gleichsetzen. Vielmehr diene sie dazu, schneller Baurecht zu schaffen, so der Mieterbund weiter. Burchardt sagte dazu, er halte das Thema Enteignungen nicht für aktuell, und er wolle sie auch nicht. Doch ohne Druck zur Nutzung von Baugrundstücken gehe es im engen Konstanz nicht.
Die Bürgervereinigung Allmannsdorf-Staad, deren Mitglieder direkt vor der Haustür zuletzt strittige Luxus-Wohnbauprojekte erlebt haben, ist kritischer. Vorsitzender Sven Martin mahnt, es müssten vor allem bezahlbare Wohnungen geschaffen werden. Er fordert eine Korrektur dessen, was die Verwaltung vorgelegt hat: „Eine maßvolle Bautätigkeit in Konstanz ist richtig, eine nachhaltige Politik hinterlässt aber auch unseren Kindern und Kindeskindern Raum und Platz zu Erweiterung.“ Wachstumsszenarien als Selbstzweck erteilt Martin eine Absage und fordert, dass „vor dem Hintergrund des Leitbildes Bodensee klare Grenzen des Bevölkerungswachstums der ganzen Region definiert werden“ müssten.