Vor 100 Jahren: Allmannsdorf wird in die Stadt Konstanz eingemeindet / Emil J. Mundhaas
Die politische Entwicklung im 19. Jahrhundert mit seinen neuen Grenzen im Bodenseeraum und der Beitritt Badens zum Deutschen Zollverband (1835) schnürte die Stadt Konstanz von ihrem natürlichen Hinterland Thurgau ab. Die Stadtväter fassten nun notgedrungen den vorderen Bodanrück, die Gemeinden Wollmatingen und Allmannsdorf, in den Fokus ihrer Politik.
Sich ein eigenes Territorium nördlich des Rheins zu schaffen, hatte die Stadt schon 1510 durch ihren Schirmvertrag mit Österreich versucht. Maximilian I. zeigte sich diesem Begehren durchaus geneigt, doch die angrenzenden reichsunmittelbaren Herrschaften, die Abtei Reichenau (Wollmatingen), vor allem aber die Reichsballei Elsass und Burgund des Deutschen Ordens mit ihrer reichsunmittelbaren Landschaft Mainau (Allmannsdorf/Staad bis Dettingen/Wallhausen) hielten ihre Territorien unangefochten fest. Jetzt, dreihundert Jahre später, waren beide Herrschaften durch Napoleons Säkularisation beseitigt und ihre Territorien an das Großherzogtum Baden gekommen so wie die seit 1548 österreichische Stadt Konstanz. Alle drei Nachbarn sind nun Gemeinden und Glieder desselben Staates, die Voraussetzungen zum Zusammenschluss sind durch Gesetze einheitlich geregelt und in den Bereich des Möglichen gerückt. Und die „Konstanz“ (Beharrlichkeit) der Konstanzer schaffte 1914 tatsächlich den Vertrag zum „freiwilligen“ Zusammenschluss. Im Jahr 2015 wäre dies eigentlich ein Grund für eine Jubiläumsfeier, doch scheint dies niemanden, vor allem nicht die in der Öffentlichkeit stehenden Persönlichkeiten, zu interessieren.
Allmannsdorf, das begehrte Objekt, hatte 1914 rd. 1600 Einwohner, umfasste 803 Hektar Gesamtfläche (mit Mainau u. St. Katharina) und bestand aus den drei Dörfern All-mannsdorf, Staad, Egg und den Zinken (Weilern) Hinterhau-sen, Loreten, Egelsee, Sierenmoos, Hard, Sonnenbühl, Kö-nigsbau, Insel Mainau und St. Katharina. Die letzteren Beiden waren Hofmarken mit eigenen Markungsgrenzen. Die Gemeindeaussengrenze stieß zur Hälfte an die Stadt Konstanz (Petershausen) sowie an die Gemeinden Wollmatingen und Litzelstetten, die andere Hälfte an den See. Drei Anlegestellen (Staad 1889, Mainau 1858, Hinterhausen 1901) für Dampfschiffe verbanden die Gemeinde mit der Außenwelt.
Geht man den greifbaren archivierten Quellen zur Einge-meindung nach, stellt man fest, dass diese „Ehe“ keine Liebesheirat war, zumindest nicht für die „Braut“ Allmannsdorf. Acht volle Jahre wurde verhandelt, die Gespräche begannen 1906 bei der Einweihung des Seepumpwerkes (Wasserwerk) und dauerten bis zum Vertragsabschluss und dessen Geneh-migung durch das Großherzoglich-Badische Innenministerium im Hochsommer 1914, kurz vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges. Man fragt sich heute, weshalb die Gemeinde Allmannsdorf nach acht harten Verhandlungsjahren letztend-lich dem „Liebeswerben“ der Konstanzer nachgab und auf ihre Selbständigkeit verzichtete. Die Gründe dafür waren vielschichtig, und bis zuletzt gab es innerhalb der Bürger-schaft starke Widerstände gegen diese „Heirat“. Eine Ab-stimmung durch die Wahlberechtigten fand nicht statt, die Entscheidung trafen Gemeinderat und Bürgerausschuss allei-ne. Die klamme finanzielle Situation der Gemeinde All-mannsdorf wird zwar oft als Grund für die Befürwortung vorgeschoben, was ja nicht ganz falsch ist. Die Ursachen für diese Situation waren aber 1914 schon längst vergessen, dazu muss man doch etwas weiter zurück schauen.
In der Vergangenheit betrieben die 18 Schifffahrtsberechtig-ten (Schiffeigner) in Staad, zusammen mit den Meersburger Schiffsleuten, die einzige wirklich leistungsfähige Fährverbindung für Fuhrwerke und Reisekutschen über den Boden-see im Zuge einer Fernstrasse (Marseille – Lyon – Genf – Zürich – Konstanz – Staad – Meersburg – Ravensburg – Ulm – Wien).
Während der Koalitionskriege mit Frankreich (1796-97, 1799-1801, 1805) war das „Fahr“ für Freund und Feind von höchster strategischer Bedeutung, die Konzentration von Truppen im „Stau“ an der Übersetzstelle Staad brachte über-proportional hohe Belastungen für die Gemeinde. Zwischen 1796 und 1801 mussten die Bürger von Allmannsdorf für diese Fremdbelastungen die ungeheure Summe von 95.708 fl aufbringen, was nur durch Aufnahme von Schulden auf ihre Liegenschaften möglich war. Auch die Befreiungskriege 1815-18 belegten die Bürger zusätzlich mit Kriegssteuern. All diese noch ungetilgten Kriegslasten, dazu neue, regelmäßige Steuern des Großherzoglich-Badischen Staates und die harten Bedingungen zur Ablösung der feudalen Grundlasten hatten die Verschuldung bis zur Unerträglichkeit getrieben. Ab 1818 begann eine Insolvenzwelle unvorstellbaren Ausmaßes über die Gemeinde und die Altbürger herein zu brechen. Sie stieg jährlich exponential an und erreichte ihren Höchststand in den mittleren 1840er-Jahren. Das Pfandbuch der Gemeinde (1808-1843) verzeichnet die verpfändeten Im-mobilien und die darauf eingetragenen Schuldlasten. Das Kontrakten- und Verkaufbuch (1809-1845) gibt Einblick in die unverhältnismäßig vielen Zwangsversteigerungen und Besitzübertragungen. Unzählige Tragödien haben sich da abgespielt. Die Gemeinde Allmannsdorf, deren Groß-herzoglich-Badischer Vogt (bzw. nach 1832 Bürgermeister) diese Insolvenzen abwickelte, wurde 1852 selbst insolvent. Ihre aufgenommenen Darlehen wurden von den Gläubigern gekündigt, sie konnte die Schulden in Höhe von 25.737 fl nicht zurückzahlen. Der Grundbesitz der Gemeinde wurde zwangsversteigert, darunter auch der Allmend- oder Gemein-dewald. Die erzielten Einnahmen blieben mit 4.163 fl weit unter der Schuldsumme, 69 Gläubiger konnten nicht befrie-digt werden. Das Bezirksamt vermittelte ein Abkommen zwischen Gläubigern und Gemeinde, für die Restschulden von 21.573 fl wurde eine Tilgung auf lange Frist vereinbart. Dies schränkte die Handlungsfreiheit und Gestaltungsmög-lichkeiten der Gemeinde drastisch ein. Nur langsam gelang es ihr, sich aus ihrem „Tief“ herauszuarbeiten. Der Brand des alten Gemeindehauses am 9. Juni 1903 brachte neue finan-zielle Belastungen, aber der tatkräftige Bürgermeister Philipp Walterspiel setzte den Neubau eines Rathauses in Jahresfrist durch. Diese Demonstration von Einigkeit und Gemein-schaftswillen war aber eher ein letztes Aufbäumen gegen den Trend der Zeit, denn schon zwei Jahre darauf begannen die Verhandlungen mit der Stadt Konstanz zwecks Eingemein-dung.
Das aktuelle Problem der Gemeinde war das Wasser. Die Infrastruktur im Allgemeinen, vor allem aber die öffentliche Wasserversorgung, war dem rasanten Einwohnerzuwachs nicht gewachsen. Besonders für die höher gelegenen Neubaugebiete war die vorherrschende Art der Wasserversorgung mit Quellfassungen und kleinräumigen Versorgungseinheiten nicht anwendbar. Die benachbarte Stadt Konstanz hat ihre eigenen Wasserprobleme 1906 durch Bau eines Seewas-serpumpwerkes in Staad und eines Hochbehälters auf dem vorderen Hard (Friedrichshöhe) gelöst, alles auf Allmanns-dorfer Gemeindegebiet. Auf Bitte der Gemeinde Allmannsdorf waren dabei einige bebaute Bereiche in den Ortsteilen Hinterhausen und Königsbau durch die Stadt Konstanz im Zuge ihrer neuen eigenen Leitungstrassen mit Seewasser versorgt worden. Die Stadt hat dies vorfinanziert, der All-mannsdorfer Anteil betrug 100.000 Mark. Da man aber gleich in Verhandlungen betreffs Eingemeindung getreten war, wurde die Zahlung einvernehmlich zurückgestellt. Und dies war die „Schlinge“ um den Hals der Gemeindevertreter, mit welcher die Konstanzer sie wieder an den Verhandlungstisch zurück holten, wenn sie gar zu unflexibel reagierten und die Verhandlungen aussetzten. Die Aufforderung, jetzt erst mal die noch ausstehenden 100.000 Mark zu begleichen, verfehlte ihre Wirkung nicht. Als 1910 in Allmannsdorf ein neuer Bürgermeister gewählt worden war, der sich als Befürworter der Eingemeindung empfohlen hatte, kamen wieder frischer Wind, aber auch neue Forderungen in die Verhandlungen. Simon Graf, Wirt des Gasthauses „zum Schiff“, griff sofort das Konstanzer Projekt „Strassenbahn“ auf und forderte die Verpflichtung der Stadt zur Anbindung von Allmannsdorf bis hinunter nach Staad. Anfang 1914 wurde der Vertrag fixiert und unterschrieben, die Genehmigung durch das Innenministerium erfolgte im Juni, am 1. Januar 1915 trat er in Kraft. Simon Graf erlebte dies nicht mehr, er ist am 24.7.1914 im Alter von 66 Jahren verstorben. Die Allmannsdorfer wählten am 3. Oktober für die ihnen noch verbleibende „Restlaufzeit“ von drei Monaten den Adlerwirt Friedrich Schroff zum Bürgermeister. Er vollzog auch die Übergabe an die Stadt Konstanz. Die Insel Mainau, Som-mer-Residenz des Großherzogs Friedrich I. († 1907), machte diesen Anschluss nicht mit und schloss sich nach 1918 der kleinen Gemeinde Litzelstetten an.
Viele Forderungen der Allmannsdorfer fanden ihren Niederschlag im Eingemeindungsvertrag, die Meisten wurden realisiert, wenn auch größtenteils erst lange nach dem Ende des 1. Weltkrieges und in „abgespeckter“ Form. Keine Aufnahme in den Vertrag fand dagegen die Forderung nach einer Ortsteilverfassung für Allmannsdorf. Hier hielten die Stadt-verwaltung, das Badische Bezirksamt und das Innenministerium in Karlsruhe, an welches sich die Gemeinde Hilfe suchend gewandt hatte, eisern zusammen. Mit fadenscheinigen Argumenten wurde diese Lösung abgeschmettert. Bis zur Gemeinde- und Kreisreform Anfang der 1970er Jahre gab es in der Stadt Konstanz keine Ortsteile mit Ortschaftsverfassung. Doch durch den freiwilligen Zusammenschluß mit Litzelstetten und Dingelsdorf sowie der Eingemeindung von Dettingen/Wallhausen änderte sich die Struktur der Stadt, denn diese drei Orte erhielten durch Vertrag den Status eines „Ortsteiles“ mit Ortschaftsverfassung nach §§67-73 GemO BW. Den Allmannsdorfern-Staadern-Eggern wurde nun schmerzlich das Manko bewusst, das hier im Vergleich zu den drei andern ehemaligen Gemeinden der mehr als 500 Jahre existierenden historischen „Landschaft Mainau“ des Deutschen Ordens (Allmannsdorf war die Vierte und Größte) wirksam wurde. Es gibt unter den Bürgern in diesem Teil der Stadt Konstanz eine starke Bewegung, nun doch noch wie die Vorgenannten auch für Allmannsdorf die Bildung eines Ortschaftsrates nach §67 GemO BW zu erlangen. Es gab bereits unter den Oberbürgermeistern Dr. Horst Eickmeier und Horst Frank erste Ansätze und Prüfungen zur Realisierbarkeit dieses Bürgerwunsches. Sie ist für Allmannsdorf durch das Reg. Präs. als machbar bestätigt worden, entscheidend hierzu ist der politische Wille der Stadt. Somit bestehen für die Allmannsdorfer durchaus berechtigte Hoffnungen auf Erfüllung ihres Wunsches noch vor Ablauf von weiteren 100 Jahren.