Im Dschungel des Baurechts – die Angrenzer sind gefordert / Jürgen Hoeren
CDU-Stadtrat und Rechtsanwalt Mathias Heider im Gespräch mit Jürgen Hoeren
Frage: Herr Heider, Sie sind Rechtsanwalt, Mitglied für die CDU im Gemeinderat und im Technischen Ausschuss (TUA) der Stadt Konstanz und kennen die Problematik, wenn in den Stadtteilen Allmannsdorf, Staad oder Egg neue große Häuser auf Grundstücken gebaut werden, wo früher einfache, kleine Einfamilienhäuser mit großen Gärten standen. Viele Angrenzer und Anwohner sind über diese Entwicklung erschrocken und fragen sich, nach welchem Verfahren ist das überhaupt möglich? Gibt es denn nicht für jede Straße feste Bebauungspläne mit festen Auflagen?
Heider: Grundsätzlich betrifft diese Frage natürlich nicht nur Allmannsdorf, sondern die gesamte Stadt Konstanz. Im Rahmen der durch das Baugesetzbuch geregelten Bauleitplanung wird zunächst ein Flächennutzungsplan für das gesamte Gemeindegebiet aufgestellt und aus diesem heraus dann für einzelne räumliche Teilbereiche des Gemeindegebietes Bebauungspläne entwickelt und aufgestellt, die eine wesentliche bauplanungsrechtliche Voraussetzung für die Baurechtsbehörden zur Erteilung von Baugenehmigungen bilden. Dies ist auch in vielen Bereichen des Konstanzer Stadtgebietes so. Diese Pläne können bei den Baurechtsbehörden frei eingesehen werden. Hinzu kommen aber auch die Bereiche des Gemeindegebietes, in denen es keinen Bebauungsplan gibt, aber dennoch freie Flächen innerhalb einer bestehenden Bebauung vorliegen, die sogenannten „Bau-Lücken“. Und in diesen „Bau-Lücken“ kann dann eine Bebauung nach § 34 des Baugesetzbuchs (BauGB) stattfinden. D.h., dass sich die Planung der Bebauung grundsätzlich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und die Erschließung gesichert sein muss. Weiter darf dabei das Ortsbild und die Nachbarschaft nicht in ihren Rechten beeinträchtigt werden.
Frage: Und die zuständige Behörde, die das entscheidet ist das Baurechtsamt ?
Heider: Grundsätzlich sind die unteren Baurechtsbehörden zur Erteilung von Baugenehmigungen sachlich zuständig. In Großen Kreisstädten wie Konstanz, ist dies die Gemeinde. Für die Gemeinde entscheidet grundsätzlich der Gemeinderat, sofern nicht der Oberbürgermeister (OB) aufgrund von Ausnahmetatbeständen eine eigene Zuständigkeit erlangt. Dies ist insbesondere bei der Erteilung von Baugenehmigungen (sog. Bauordnungsrecht) so, die als Pflichtaufgabe nach Weisung in alleiniger Zuständigkeit des Bürgermeisters als untere Baurechtsbehörde liegt. Somit ergibt sich, dass der OB diese dem Gemeinderat/TUA zwar zur Stellungnahme, nicht aber zur Entscheidung unterbreiten darf. Zuständig für den OB ist in Konstanz in diesen Fällen das Baurechtsamt. In einigen Fällen einer Bebauung nach § 34 BauGB könnte mit der Schaffung von Baurecht für einen Bauwilligen jedoch die Planungshoheit der Gemeinde zur städtebaulichen Entwicklung betroffen sein, so dass ein sogenanntes Einvernehmen mit der Gemeinde nach § 36 BauGB, also eine Entscheidung des Gemeinderates/TUA hergestellt werden müsste. In einer Gemeinde wie Konstanz, die gleichzeitig untere Baurechtsbehörde ist, ist dieser Anwendungsbereich der Mitentscheidung jedoch leider gerade nicht eröffnet. Dies ist seit dem „Kloster Zoffingen-Urteil“ des Bundesverwaltungsgerichts von 2004 gängige Rechtsprechung. Der OB ist somit nur verpflichtet und sollte den Gemeinderat/TUA eigentlich auch nur über Bauvorhaben unterrichten, die die städtebauliche Entwicklung betreffen könnten, damit dieser mittels der rechtlichen Instrumente der Bauleitplanung, wie etwa ein Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan und eine Veränderungssperre oder Zurückstellung von Baugesuchen agieren kann.
Frage: Dieses Baurechtsamt ist, wenn die entsprechenden Baupläne eingereicht worden sind, verpflichtet, in einer gewissen festgelegten Frist über das Bauvorhaben zu entscheiden?
Heider: Ja, genau. Nach der Landesbauordnung gibt es klare Vorgaben, welche Unterlagen mit einem Bauantrag bzw. einer Bauvoranfrage eingereicht werden müssen. Mit der Einreichung dieser Unterlagen an das Baurechtsamt, ist die Behörde an bestimmte Fristen gebunden, binnen derer sie – bei Genehmigungsfähigkeit – die Baugenehmigung erteilen muss. Nicht kann, sondern muss.
Frage: Und welche Rolle spielt ein Gemeinderatsmitglied wie Sie, der auch noch Mitglied im Technischen Ausschuss ist, in diesem Entscheidungsprozess?
Heider: Wie bereits vorhin ausgeführt, können wir einerseits Stellungnahmen abgeben, beziehungsweise in bestimmten Situationen von unserem Recht der städtebaulichen Planungshoheit Gebrauch machen. Unter Berücksichtigung der rechtlichen Fristen zur Erteilung einer Baugenehmigung und der Zeit zur Erteilung eines Einvernehmens hieße dies, dass wir ab dem Zeitpunkt der Information über das Baugesuch unverzüglich einen Mehrheitsbeschluss herbeiführen müssten, der besagt, dass wir in diesem Bereich eine größere Gesamtplanung zur Städtebaulichen Entwicklung beabsichtigen und die Aufstellung eines Bebauungsplanes mittels Aufstellungsbeschluss anschieben. Wenn dies innerhalb der Fristen nicht erfolgt, ist diese Möglichkeit nicht mehr beachtlich.
Frage: Und diese Erarbeitung eines Bebauungsplans würde eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen.
Heider: Mit dem gefassten Aufstellungsbeschluss könnte man dann für diese Bauvorhaben, die im geplanten Bebauungsplanbereich liegen, Zurückstellungen beantragen und mehrheitlich im Gemeinderat/TUA beschließen, das Projekt zunächst für ein Jahr zurückzustellen. Dann könnte der Bauwillige in dieser Zeit nicht bauen und die Gemeinde hätte im Grunde diese Zeit zu Verfügung, für das entsprechende Gebiet einen Bebauungsplan aufzustellen, beziehungsweise andere Möglichkeiten zur Sicherung der Bauleitplanung zu ergreifen. Aber auch das geht nicht ewig, denn auch hierfür gelten maximale Fristen im Baugesetzbuch. Man muss den Bebauungsplan irgendwann dann auch erarbeiten und beschließen. Dies dauert allerdings eine erhebliche Zeit, weil in dieses Verfahren zahlreiche Punkte mit einbezogen werden müssen, wie z.B. Umweltbelange, Bürgerbeteiligung etc. und das geht nicht von heute auf morgen. Auch muss man bedenken, dass dies auch die Arbeitskraft der Verwaltung bindet und andere Vorhaben nicht bearbeitet werden können. Deshalb ist hier durch den Gemeinderat/TUA im Sinne der Gesamtinteressen der Stadt Konstanz abzuwägen.
Frage: Widersprüche gegen Bauvorgaben könnten doch in erster Linie die Angrenzer erheben, oder?
Heider: Nach § 55 der Landesbauordnung von Baden-Württemberg müssen grundsätzlich nur die Angrenzer benachrichtigt und im Verfahren berücksichtigt werden. Es steht der Behörde jedoch frei, darüber hinaus auch die unmittelbar durch das Bauvorhaben betroffenen Nachbarn einzubeziehen und zu benachrichtigen.
Frage: Wenn z.B. in Allmannsdorf Bauprojekte umstritten sind, dann müssten sich die Bürger also vor allem an die politischen Vertreter ihres Ortsteils wenden – und zwar rechtzeitig.
Heider: Richtig. Im Grunde sollten die entsprechenden Ortsteilvertreter durch Angrenzer oder informierte Bürger schleunigst von eventuell planungsrechtlich relevanten Bauvorhaben informiert werden, damit diese im Rahmen der ihnen gegebenen Informationen über Bauanträge, frühzeitig wissen, wo es zu städtebaulichen Belangen kommen kann und oben aufgeführte Maßnahmen ergreifen können. Denn diese Information über Bauvorhaben finden sich in einer sehr rudimentären Liste, die aber aufgrund datenschutzrechtlicher und rechtlicher Zuständigkeitsproblematiken (s.o.) nicht näher ausgeführt werden darf, statt. Für den einzelnen Gemeinderat ist es deshalb oftmals auf den ersten Blick schwer zu erkennen, ob hier bauleitplanerische Belange betroffen sein könnten, weil man natürlich nicht jeden einzelnen Bauvorhabenort der ganzen Stadt kennen kann. Deshalb ist es umso wichtiger, dass durch die Angrenzer/Nachbarn die politischen Vertreter und beispielsweise auch Bürgergemeinschaften umfassend informiert werden. Nur so können frühzeitig weitere Informationen beschafft und Mehrheiten in den Gremien überzeugt werden, sich für die Aufstellung eines Bebauungsplan innerhalb der oben angesprochenen Fristen einzusetzen.
Frage: Also eine hoch komplizierte juristische Materie, wo mit den gesetzten Fristen die Spielräume von Gemeinderäten und TUA-Mitgliedern stark eingeschränkt sind.
Heider: Es wird die Arbeit des TUA in dieser Problematik durchaus nicht erleichtert. Das ist aber gesetzlich gewollt und auch durch die Gerichte so bestätigt. Das mag man nun mögen oder nicht, aber Gemeinderatsmitglieder wie wir sind auch an Recht und Gesetz gebunden. Wir können uns also, entgegen oftmals anders lautender Versprechungen, nur in dem uns zustehenden Rahmen agieren.
Frage: Wenn schon der TUA so wenig Einflussmöglichkeiten hat, wie viel schwieriger ist es dann für Bürgervereinigungen wie die BAS überhaupt solche städteplanerischen Vorgänge zu beeinflussen ? Macht da das viele Reden der Stadt von Transparenz, von Bürgerbeteiligung politisch überhaupt noch einen Sinn?
Heider: Ich denke schon, weil es natürlich die politischen Mandatsträger sensibilisiert zu wissen, welche städteplanerischen Probleme sich in den von ihnen vertretenen Ortsteilen ergeben können. Als gewählter Mandatsträger bin ich in meiner Entscheidungsbildung natürlich auch auf die Informationen aus der Bürgerschaft mit ebenfalls vielen guten Vorschlägen und Ideen angewiesen. Diese Meinungsbildung erleichtert sich natürlich, wenn beispielsweise Bürgerbeteiligung durchgeführt wird oder eine Bürgergemeinschaft, wie etwa die BAS, mich durch Vorabgespräche und -abstimmungen informiert, was aufgrund der Fülle der sonstigen Aufgaben und anderweitiger Ortsgebundenheit und -kenntnis oftmals nicht leicht zu erhalten ist. Und deshalb ist es aus meiner Sicht gerade ganz besonders wichtig, dass sich die gewählten politischen Vertreter sehr gut in ihren Ortsteilen vernetzen und vielleicht auch möglicherweise selbst in Bürgervereinigungen mit organisiert sind.
Frage: Wäre es vom Baurechtsamt zu viel verlangt, bei sensiblen Projekten von sich aus auf Bürgervereinigungen zuzugehen, Bürger eines Stadtteils zu informieren und ggf. mit ihnen zu diskutieren?
Heider: Das würde ich sicherlich begrüßen. Die Frage allerdings ist, einerseits ob dies personell und andererseits überhaupt rechtlich verpflichtend erfolgen könnte, denn eine über Angrenzer und Nachbarn hinausgehende Bürgerbeteiligung ist im baurechtlichen Verfahren bei Bauanträgen grundsätzlich nicht vorgesehen. Außerdem ist es bei der Vielzahl von anstehenden Bauanträgen natürlich äußerst schwierig zu erkennen, welcher Bauantrag ist denn nun genau der, der die Gesamtinteressen der Bevölkerung und nicht nur einiger Einzelner betrifft. Aus meiner Erfahrung ist es durchaus so, dass in vielen Fällen das Baurechtsamt der Stadt Konstanz genau dieses dennoch versucht und auch tut. Weiter besteht auch die Möglichkeit der Gemeinderäte sich entsprechende Informationen beim Baurechtsamt selber zu erfragen, weil dies für den einzelnen Gemeinderat im Rahmen seines Mandats bauleitplanerisch sehr interessant sein könnte. Dies ist gleichzeitig aber auch die Aufgabe beispielsweise einer Bürgergemeinschaft oder die Aufgabe von Angrenzern oder von interessierten Bürgern. Es ist natürlich nicht so, dass die Verwaltung jegliche Informationen veröffentlichen muss und darf, sondern ich habe als mündiger Bürger auch das Recht und die Pflicht, mir ebenfalls Informationen zu beschaffen. Informationen müssen mir im Rahmen des rechtlich zulässigen grundsätzlich zugänglich gemacht, aber nicht automatisch übermittelt werden.
Frage: Wenn ich ihre juristischen Ausführungen verfolge, dann komme ich zu der Auffassung, dass der einzelne Bürger nahezu überfordert ist, sich in dem Dschungel der Gesetze und Fristen, der Spielräume und Leitlinien auszukennen. Sind in diesem Zusammenhang Bürgervereinigungen wichtiger denn je, weil sie sich für die Belange der Bürger weitaus effektiver und öffentlich wirksamer einsetzen können?
Heider: Da gebe ich Ihnen vollständig recht. Es ist ja auch der Sinn, dass Bürgervereinigungen über ihre Satzungen genau regeln, wie sie sich mit ihren Aufgaben für die betroffenen BügerInnen einsetzen können. Ich bin in Wollmatingen und am Fürstenberg ja selbst Vorsitzender einer Bürgergemeinschaft. Wir haben klar in unserer Satzung geregelt, dass wir Bürgern zu Verfügung stehen, bei schwierigen Situationen, Verständnis mit den Behörden herzustellen oder auch darauf hinzuweisen, wo rechtskundige Hilfe eingeholt werden kann. Für eine Form der Bürgerbeteiligung halte ich Bürgergemeinschaften wie die BAS deshalb für sehr berechtigt und notwendig.
TUA – nur ein Feigenblatt ?
Es ist ernüchternd, aus dem Mund eines erfahrenen Gemeinderats und Mitglieds des TUA, zu erfahren, wie begrenzt die Einflussnahme auf konkrete Bauvorhaben vor allem in den sog. „Baulücken“ sind. Der TUA wird offensichtlich vom Baurechtsamt nur mit minimalen Angaben über die Projekte informiert. Mögliche Konflikte oder Probleme auf Kosten der Bürger oder des Stadtteils sind daraus jedenfalls nicht auf Anhieb ersichtlich – offenbar in der Absicht, erst gar keine unangenehmen Fragen oder gar Diskussionen über Bauvorhaben aufkommen zu lassen. Von gewollter Transparenz und gewünschter Bürgerbeteiligung keine Spur. Ist der TUA mehr als ein Feigenblatt? Den meisten Einfluss auf Bauprojekte haben die unmittelbaren Angrenzer. Sie können unmittelbar Widerspruch einlegen und mehr Informationen anfordern. Wichtig: Sie sollten rechtzeitig sowohl die Bürgervereinigung als auch die Ortsteilpolitiker informieren und aktivieren. Die Kooperation von Angrenzern, Bürgervereinigung und Ortsteilpolitiker ist wichtiger denn je, wenn Bürger bei der Gestaltung ihres Ortsteils, ihrer Ortsmitte nicht nur passiv zuschauen, sondern aktiv mitbestimmen möchten.