15. November 2015 – Volkstrauertag (St. Georg) / Alexander Gebauer
Liebe Pfarrgemeinde – wir gedenken an diesem Volkstrauertag an die Opfer von Krieg und Gewalt. Heute möchte ich an Menschen erinnern die in den Jahren 1939 bis 1945 – in einer Welt bösartigster Aggression und Regression zu Tode kamen – einer Welt in der abergläubischer und verfolgungssüchtiger Hass – Millionen von Menschenleben vernichtete – möchte ich an tapfere Menschen erinnern die sich gegen diese Barbarei stellten, die Widerstand leisteten und dafür nur allzu oft mit ihrem Leben bezahlten – möchte ich ihnen einige Sätze – Gedanken aus letzten Briefen dieser zum Tod verurteilter Widerstandskämpfer nahe bringen – tief berührende Dokumente – Beispiele für die Unzerstörbarkeit der menschlichen Seele – alle getragen und getröstet durch den Glauben an die Rettung der Menschenwürde.
Widerstand erwachte damals in allen Ländern – ohne Ausnahme – die von faschistischen Mächten beherrscht wurden. Er wirkte im Innern dieser Staaten und auch von außen her. Die Beweggründe – Umstände und Methoden waren zum Teil überall die gleichen – wechselten aber auch zum Teil tiefgehend von Nation zu Nation und von Gruppe zu Gruppe. Zur Zeit des zweiten Weltkrieges gab es wohl kein Land in Europa – in dem der Widerstand nicht tätig war – die Zahl der der Menschen die in den europäischen Widerstandsbewegungen den Tod fanden lässt sich nicht errechnen. Nur in seltenen Fällen lässt sich feststellen – wie viele von ihnen hingerichtet – oder umgebracht wurden. Auch ist es sehr schwierig eine Trennungslinie zwischen aktiven und passiven Widerstand zu ziehen. Wer wollte entscheiden welche Gemeinwesen wegen der tatsächlichen oder nur angeblichen Unterstützung von Widerstandskämpfern dezimiert und ausgerottet wurden – welche Ungeheuerlichkeit des totalen Krieges – den Rasseverfolgungen – der „völkischen Eingliederung“ – oder auch bloß der totalen Verachtung des Menschlebens durch die Unterdrücker zum Opfer fielen?
In vielen Briefen dieser Todgeweihten ist die Unfähigkeit des Verurteilten spürbar den Sinn des Urteils überhaupt zu verstehen – an seine Vernichtung zu glauben – zu glauben – dass die Menschen das was sie über ihn verhängt haben tatsächlich und in Wirklichkeit ausführen werden – die Vorwürfe – die er sich ob der Verzweiflung seiner armen Mutter – seines Vaters – seiner geliebten Frau – seiner Kinder – seinen Stolz aber auch auf den Mut – die Charakterstärke – die er bewahrt hat – indem er sich beharrlich weigerte – den Namen seiner Freunde zu verraten – und viele Grübeleien über das Wesen des Todes und darüber was nachher sein wird…
„Verzeih liebste Mutter schreibt im November 1942 – einige Stunden vor seiner Hinrichtung der österreichische Widerstandskämpfer Mittendorf- „dass ich Dir leider diesen Schmerz bereiten muss – ich habe oft darüber nachgedacht – ob dies notwendig war – ob ich nicht anders hätte tun sollen – aber ich komme zu dem Schluss: ich konnte nicht anders – Ich bereue es nicht – mein Leben war ehrlich und aufrecht – und so sterbe ich nun auch. Liebe Mutter- ich weiß – wie schwere Dich mein Tod trifft – ich ahne es – wie schwer es für eine Mutter ist – ein Kind begraben zu müssen- für dass sie so viel Liebe – Sorge – Stunden –Tage und Nächte her-gegeben hat – Nun ist es mal so – dass Kinder den Eltern immer Sorgen machen – als Kleine – kleine Sorgen und je größer sie werden – umso größer werden auch die Sorgen – Ich konnte Dich liebe Mutter – nicht mehr sehen – trotzdem aber sehe ich Dein Gesicht und fühle Dich ganz in meiner Nähe. Mit den Gedanken an Dich werde ich von der Welt Abschied nehmen. Danke Dir nochmals für alles Gute und Liebe.. – nur eine Bitte habe ich noch- bleibe mir zuliebe mutig und stark….“
Viele der zum Tode Verurteilten sind lange und grausam gefoltert worden – damit sie sprächen – aber sie haben geschwiegen und sind unbändig stolz darauf – denn der Ge-danke daran – dass sie die furchtbare Probe bestanden haben macht das schwere Sterben leichter – „Lieber Papa – liebe Mamy – schreibt der neunzehnjährige Guy Jacques – erschossen 1944 in Lüttich – „auf der Kommandantur hat man mich verhört – damit ich spreche. Ich bin geschlagen worden- an einen Tisch gebunden- die Hiebe fielen wie Regen – nie nie habe ich irgendeinen Namen genannt – ich hätte meinen Kopf retten können – aber lieber habe ich nichts getan oder gesagt. Nach all diesem werdet ihr begreifen – dass ich Mut genug habe – um erschossen zu werden. Das ist übrigens eine Kleinigkeit gegen alles – was ich ausgestanden habe und ich bin stolz auf mich – denn ich habe alles überstanden und viele Leben gerettet“.
Im Grund ist es ihr Glaube – auf den sie stolz sind – der die Quelle ihrer Standhaftigkeit ist und der nicht religiöser Art im eigentlichen – engeren Sinn zu sein braucht. Einige sind fromm – sie sind es auch oft zuweilen auf eine halb scherz-hafte Weise – etwa indem sie versprechen – den Ihren „ im Himmel ein gutes Plätzchen zu besorgen“ – Zuweilen scheinen sie die Religion als ein gutes Trostmittel für andere zu schätzen – ohne ihrer selbst zu bedürfen – und raten den Hinterbliebenen: “Betet für uns – das wird Euch wohltun“. An anderer Stelle ist mit schlichter Überzeugung vom Himmel und vom Wiedersehen dort die Rede.
Eins der schönsten Zeugnisse aber – das von tiefer christlicher Glaubensgewissheit getragen ist – legt der deutsche Kaplan Hermann Lange vor seiner Hinrichtung in dem Brief an seine Eltern ab: „Wenn ihr mich fragt, wie mir zu Mute ist, kann ich Euch nur antworten: ich bin erstens frohbewegt – zweitens voll großer Spannung! Für mich ist mit dem heutigen Tage alles Leid – aller Erdenjammer vorbei > und Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen.
Sie fühlten sich als Vorkämpfer einer besseren – menschlicheren Gesellschaft – denn keine Idee- für die reinen Herzens gekämpft- gelitten – gestorben wurde wird zugrunde gehen – ist vergebens –– sie wird sich in das Bewusstsein der Menschen eingraben – wird Leben – wird Wirklichkeit gewinnen – auch wenn dann mit allen Makeln dieser Wirklichkeit behaftet. Die Erde ist nicht die Stätte des Glücks und reiner Moralität – und am wenigsten wird sie dazu durch den Krieg- und sei es auch der notwendigste – aber der Trieb – das Menschenleben dem Guten – Vernunftgemäßen – vom Geistigen gewollten – anzunähern – ist Auftrag von oben – dem keine Skepsis die Gültigkeit nimmt – dem nicht zu entkommen ist – trotz aller Niederlagen – ja gerade durch sie hindurch – hat er das Leben für sich. In diesen Abschiedsbriefen der zum Tod Verurteilten finden Christen und Atheisten sich in dem Glauben – dass das für das sie den Tod auf sich genommen haben – fortleben wird – diese Gewissheit macht ihre Seelen ruhig. „Allzeit werde ich bei Euch sein“ – und auch: „das Leben und das Gefühl – die mich durchdrangen – werden nicht sterben“ – Wer möchte das bezweifeln?
Alexander Gebauer